Trotz Anhebung der Inflationsprognosen hält die EZB unbeirrt an einer lockeren Geldpolitik fest. Denn nach Auslaufen der Basiseffekte gehe die Preissteigerungswelle ab 2022 wieder zurück. Diese Dichtung erlaubt ihr auch zukünftig das reibungslose Management der Überschuldung sowie der zinsgünstigen Finanzierung von Klimaschutz, Standortreformen und nicht zuletzt des europäischen Zusammenhalts.
Insgesamt hebt die EZB ihre Wachstumsprojektionen für dieses Jahr auf 5,0 nach zuvor 4,6 Prozent an. Für 2022 (4,6 nach zuvor 4,7 Prozent) und 2023 (2,1 Prozent) bleiben sie weitestgehend unverändert Prozent. Doch signalisiert eine auf hohem Niveau nachgebende Stimmung in der Industrie und bei Dienstleistern, dass die Konjunktur in der Eurozone an Dynamik verliert. Auch könnte die Rückkehr zur vor-coronalen Wirtschaftslage durch die Delta-Variante behindert werden.
Den jüngsten Inflationsanstieg auf drei Prozent betrachtet die EZB mit viel Ruhe. Zwar leugnen die Notenbanker einen gewissen Inflationsdruck nicht mehr beharrlich. Und mindestens aus deutscher Sicht erhält das EZB-Mantra einer bald wieder fallenden Inflation Risse. Der Status Chinas als Billigheimer für dort produzierende deutsche Firmen lässt erkennbar nach. Das erhöht den Kostendruck für deutsche Unternehmen ebenso wie langfristig kletternde Klimasteuern. Auch werden Unternehmen versuchen, eine Erhöhung des Mindestlohns an die Verbraucher weiterzugeben. Das nachgebende Arbeitskräfteangebot ist ohnehin ein Preistreiber.
Doch lässt die EZB nationale Entwicklungen links liegen, sie schaut auf die Eurozone als Ganzes. Und dabei sieht sie keine Gefahren einer nachhaltigen Inflationsbeschleunigung, einer sich selbst verstärkenden Spirale aus steigenden Löhnen und Verkaufspreisen. Tatsächlich signalisiert eine Beruhigung der Frachtraten gemäß Baltic Dry Index, dass inflationierende Sondereffekte durch Lieferengpässe - wenn auch nur allmählich und langsam - auslaufen, was zukünftiges Preisüberwälzungspotenzial verringert.
Vor diesem Hintergrund schätzt sie die Inflation nach auslaufenden Basiseffekten insgesamt rückläufig ein. Trotz Anhebung für 2021 (2,2 statt 1,9 Prozent), 2022 (1,7 statt 1,5 Prozent) und 2023 (1,5 statt 1,4 Prozent) bleiben ihre Preissteigerungsprojektionen insgesamt verhalten. Ihr Zwei-Prozent-Ziel sieht sie also längerfristig als gar nicht erreichbar an.
Damit verfehlt die EZB ihr „symmetrisches“ Inflationsziel. Nach langem Unterschreiten ihres Inflationsziels ist ein Überschießen oberhalb von zwei Prozent laut Projektionen kaum möglich. Und selbst dieses zeitweilige Überschießen hätte schon zu keiner Leitzinserhöhung geführt. Überhaupt will die EZB die Leitzinsen gemäß ihrer neuen Strategie so lange auf ihrem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau belassen, bis die tatsächliche Inflationsrate dauerhaft zwei Prozent erreicht. Daher sind Zinssteigerungen der EZB vor 2024, wenn überhaupt, schlichtweg ausgeschlossen.
Zwar hat die EZB beschlossen, die Anleiheaufkäufe unter ihrem Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) moderat zu „rekalibrieren“. Das scheint das europäische Synonym zum US-Tapering zu sein. In welchem konkreten Umfang verschweigt sie aber und verschafft sich damit größtmögliche Beinfreiheit. Da diese in den letzten Monaten aber schon geringer ausfielen (etwa 65 Mrd. Euro), ist die heutige Ankündigung eine Anpassung an die bereits praktizierte Realität. Und selbst wenn die EZB das Volumen wieder auf etwa 60 Mrd. Euro wie zu Jahresbeginn zurückfahren sollte, bleibt sie der dominante Gutmensch am Anleihemarkt. Ohnehin bleibt der Gesamtumfang dieses Programms mit 1.850 Mrd. Euro unverändert.
Eine konkrete Entscheidung zum „europäischen Tapering“ des PEPP hat die EZB laut Lagarde auf die Jahresend-Sitzung am 16. Dezember verschoben. Selbst wenn PEPP wie geplant im März 2022 endet, ist im Anschluss mit einer Erhöhung konventioneller Anleiheaufkäufe (PSPP) zu rechnen. Alternativ könnte sie auch auf feste monatliche Beträge verzichten, um bei Bedarf Kreditzins drückend eingreifen.
Denn die Erhaltung „vorteilhafter Finanzierungskonditionen“ hat angesichts der vielfältigen Aufgaben der EZB höchste Priorität. Neben der Bekämpfung der coronalen und strukturellen Konjunkturschwäche müssen ebenso der Klimaschutz, Infrastrukturmaßnahmen, die europäische Wettbewerbsfähigkeit und der politische Euro-Frieden finanziert werden. Mit nationalen Bordmitteln ist dies nicht mehr zu bewältigen ist. Ein Tapering der EZB ist damit nur eine stabilitätspolitische Scheindebatte. Die Staatsanleiherenditen in Europa haben verstanden: Sie sinken.
So hält sich die EZB übrigens das Problem einer exportbehindernden Euro-Aufwertung vom Hals. Tatsächlich setzt man an den Devisenterminmärkten auf Euro-Schwäche gegenüber US-Dollar.
Die Euro-Politik freut sich über die indirekte Zinskurvenkontrolle und festgenagelte Leitzinsen. EU-Wirtschaftskommissar Gentiloni hat eine straffere Geldpolitik der EZB bereits als „großen Fehler“ bezeichnet.
Weltweit geben die Konjunkturerwartungen laut Investment-Beratungsfirma Sentix über alle Regionen hinweg nach. So wird im Trend auch Bremswirkung auf die Rohstoffpreise erzeugt, was Inflationsängste und geldpolitischen Handlungsdruck entlastet.
Auch im Konjunkturbericht der Fed (Beige Book) wird nachlassende US-Wirtschaftsdynamik testiert. Daher hat auch der von der Citigroup ermittelte Inflation Surprise Index für die USA seinen historischen Zenit überschritten, der den ökonomischen Überraschungen mit Zeitverzögerung folgt.
Insofern verlieren die Renditen bei US-Staatsanleihen an Aufwärtskraft. Das belegt eine zuletzt sich abflachende Zinsstrukturkurve, die allerdings der Fundamentalhausse mit Wachstumssorgen zusetzt.
Folglich hat weltweit auch die Gewinneuphorie ihren Höhepunkt erreicht. Auch hier hat der Normalisierungsprozess eingesetzt.
Vor diesem Hintergrund legen die Aktienmärkte in Deutschland und den USA eine Denkpause ein. Immerhin heben die Aktienmärkte Asiens mit starkem Aufwärtsmomentum ihr Nachholpotenzial gegenüber den Industriestaaten. Der Rücktritt von Japans Premierminister Suga schürt Erwartungen neuer Konjunkturstimuli seitens seines potenziellen Nachfolgers Kono und einer konsequenten Impf-Kampagne ohne weitere wirtschaftsschädliche Lockdowns. Und in China leitet die KP nach der selbstverschuldeten Abkühlung der Wirtschaft über Krediteinschränkungen neue Infrastrukturmaßnahmen zur Konjunkturstabilisierung in die Wege. Nicht zuletzt profitieren die Schwellenländer von einem zinsbedingt nicht überteuerten US-Dollar, der zu Kapitalflucht einlädt.
In der diesjährigen „Hitparade“ globaler Aktienmärkte können daher Japan und Asien zulegen.
Allerdings werden die chinesischen Pendants zu Amazon & Co. harten Regulierungen seitens Pekings ausgesetzt. Sie sollen verhindern, dass monopolistische Strukturen die Macht der KP bedrohen. Davon können sich westliche IT-Unternehmen und auch der TecDAX loslösen. Daneben profitieren sie vom weiterhin günstigen Zinsumfeld, das deren hohe Bewertungen wenig angreift und natürlich von ihren völlig intakten und attraktiven Geschäftsmodellen. So sind diese Werte auch eine lohnende Alternative zu konjunkturabhängigen Werten, die nach einer Zwischenerholung High-Tech gegenüber wieder klar nachgeben.
Insbesondere im Übergangsmonat September kann das vierblättrige „Unglücks-Kleeblatt“ aus Tapering, Inflation, Delta-Variante und der unsichere Ausgang der Bundestagswahl durchaus für Kursrücksetzer sorgen.
Entscheidend bei Delta ist aber nicht mehr die Infektion allein, sondern ob ein schwerer Krankheitsverlauf eintritt. Etwas Entspannung kommt hier aus Israel und Großbritannien. Im Gegensatz zu 2020, als Corona-Krankenhausaufenthalte und Todesfälle unmittelbar nach jedem Anstieg der Neuinfektionen folgten, ist aktuell eine Entkopplung zu beobachten. Massive Lockdowns wie in der Vergangenheit mit allen wirtschaftlichen Schäden sind insofern nicht zu erwarten.
Und in puncto Bundestagswahl ist die Aktienanlagewelt ja vielfältig und damit an Alternativen reich.
Auch aus Sentimentsicht nimmt die Nervosität zu. Das bisherige Muster, wonach Kursrutscher als Einstiegsgelegenheit genutzt werden, setzte sich zuletzt nicht fort.
Die auf die Volatilität des US-Aktienmarkts berechnete Volatilität läuft den aktuellen Kursschwankungen bereits stark voraus und spricht gemäß historischem Parallelverlauf in den kommenden Wochen für verstärkte Schaukelbörsen.
Immerhin bewegt sich der Anteil von Optimisten abzüglich der Pessimisten am US-Aktienmarkt im neutralen Bereich und signalisiert kein markantes Korrekturpotenzial an den US-Aktienbörsen.
Auch die vergleichsweise hohe Investitionsquote von US-Fondsmanagern spricht nicht für nachhaltiges Ungemach.
Charttechnisch trifft der DAX auf der Unterseite bei 15.620 und 15.590 Punkten auf erste Unterstützungen. Bei fortlaufender Korrektur bieten die Marken bei 15.510 und 15.450 Halt. Auf dem Weg nach oben trifft der Index zunächst auf Widerstand bei 15.738 und 15.742. Darüber liegen weitere Hürden bei 15.755, 15.800 und 15.825 Punkten.