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Der Markt
unter der Lupe

 
30.08.2019

Wirtschaftlich geht es abwärts und Schuld daran ist nur die Politik

Handelskriegsseitig ist die Weltkonjunktur bereits eingetrübt. Für weitere Ernüchterung sorgt die zerrissene politische Großwetterlage, die auf die Investitionsbereitschaft von Unternehmen wie Streusalz auf Eis wirkt. Naturgemäß ist Export-Deutschland betroffen. Den negativen Rückkopplungseffekten kann sich mittlerweile auch die bislang robuste Binnenwirtschaft nicht mehr entziehen. Deutschland ist auf dem Weg in die Rezession. Obwohl finanzpolitisch durchaus in der Lage, hat Berlin leider noch keine wirklich vorbeugenden Maßnahmen ergriffen.

Wo ist der konjunkturelle Silberstreif am Horizont?

In den letzten 12 Monaten hat der ifo Geschäftsklimaindex 11 Mal nachgegeben. In Deutschland riecht es nach Rezession. Der weiter tobende US-chinesische Handelskrieg und ein immer wahrscheinlicher werdender No Deal-Brexit nehmen deutschen Unternehmen viel Planungssicherheit. Die ifo Geschäftserwartungen fallen im August so pessimistisch aus wie zuletzt im Krisenjahr 2009.

Grafik der Woche

Gemäß ifo Konjunkturmatrix, die Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung setzt, befindet sich die deutsche Wirtschaft in der Konjunkturphase „Abschwung“ und bewegt sich in Trippelschritten Richtung Rezession. Tatsächlich sind Gewinnwarnungen, hohe Lagerbestände und ein geschrumpfter Auftragsbestand, vermehrte Kurzarbeit, aber auch erste Entlassungen Vorboten der Schrumpfung.

Im Verarbeitenden Gewerbe als Kernbranche der deutschen Wirtschaft ist das Stimmungstief besonders markant. Der Industrie-Abschwung zieht jetzt auch die deutsche Binnenwirtschaft in Mitleidenschaft. So sind im Handel die Aussichten sogar noch trüber als in der Industrie. Im Dienstleistungssektor wächst der Zukunftspessimismus rasant und selbst im robusten Baugewerbe zeigen sich erste Sorgenfalten.

Zwar wirken die chinesischen Konjunkturprogramme stabilisierend auf Erwartungen deutscher Unternehmen. Insbesondere die kürzlich beschlossene Ankurbelung der heimischen Autokonjunktur erfreut deutsche Autobauer. Die dauerhafte Befriedung des Handelskonflikts bleibt aber Hauptbedingung für eine nachhaltige Stimmungsverbesserung der deutschen Wirtschaft.  

Deutsche Wirtschaftspolitik, bitte aufwachen

Die bereits seit Sommer 2017 schleichend abnehmende Industrieaktivität wurde nicht als Signal verstanden, mit Wirtschaftsreformen Vorsorge für schlechte Zeiten zu treffen. Stattdessen hielt und hält man ohne jeden wirtschaftlichen Nährwert an der „schwarzen Null“ fest.

Je schwächer die Binnenwirtschaft wird, desto dringender wird ein durchgreifendes Fiskalpaket. Mit Kleckern, mit Symbolpolitik ist es nicht getan. Mit Blick auf die immer konkurrenzfähigere Industriewelt geht es um Klotzen, um maximale Runderneuerung, teilweise auch um Kernsanierung. Wenn der Mittelstand laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die „Geheimwaffe Deutschlands“ ist, sollte man an wirtschaftspolitischer Munition nicht sparen. Berlin sollte sich an Goethes Faust halten: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!“

Zur weiteren Wettbewerbsstärkung müssen die strukturellen Defizite beseitigt werden. Mit einem Haushaltsüberschuss von 45,3 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2019 steht die Anschubfinanzierung bereit. Vor allem aber bietet das anhaltend negative Zinsumfeld hervorragende Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen, die die Infrastrukturlücke schließen. In China und Amerika werden Modernisierung, Digitalisierung und Deregulierung längst beherzt mit Schulden umgesetzt. Und sie haben gegenüber Deutschland noch den Nachteil, dass die Kreditzinsen positiv sind.

Politik ist nicht nur dafür verantwortlich, was sie tut, sondern auch für das, was sie versäumt

Und statt einseitig „nationale Champions“ zu fördern, müssen dringend die Rahmenbedingungen für die vielen „Hidden Champions“ des deutschen Mittelstands aus den Branchen Maschinenbau, Elektro, Medizintechnik oder Metallindustrie u.a. über Steuerentlastungen verbessert werden. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten ist Deutschland ein Hochsteuerland für Unternehmen.

Die Politik hat zu bedenken, dass die innovative Industriegüterkultur vor allem im Mittelstand zuhause ist, weniger bei der Großindustrie. Zahlreiche mittelständische Werte besetzen mit ihren spezialisierten Qualitätsprodukten, Industriepatenten und einer effizienten Kostenstruktur die Position als Weltmarktführer auch in etlichen Nischenmärkten. Das gilt neben Unternehmen aus MDAX und SDAX ebenso für Technologiewerte aus dem TecDAX, die vom Megathema Digitalisierung profitieren. Da diese Unternehmen zudem immer noch bedeutend in Deutschland produzieren und beschäftigen, sollte die Politik ihnen besondere Aufmerksamkeit schenken.

Nicht zuletzt laufen Mittelstandsaktien vor allem aus dem Tech-Lager langfristig besser als der DAX.

Marktstimmung - Früher Finanzanalyse, heute Psychoanalyse?

Lag früher bei der Marktanalyse das Hauptaugenmerk auf der Einschätzung der konjunkturellen und finanzwirtschaftlichen Bedingungen, ist heute das politische Research immer wichtiger. Und bei so manchen Protagonisten kann man auch von Psychoanalyse sprechen.

Die Brexit-Situation spitzt sich zu, nachdem Premierminister Johnson das britische Parlament vom 12. September bis 14. Oktober in Zwangsurlaub schickt. So nimmt Johnson dem Parlament wichtige Zeit, noch vor dem EU-Gipfel am 17. Oktober einen No Deal-Brexit zu blockieren. Das hat nichts mehr mit Großbritannien als dem Mutterland der modernen Demokratie zu tun. Johnson geht es primär um die persönliche Ehre, die Briten von der EU zu befreien. Daneben will er seine Conservative Party gegenüber der Brexit Party behaupten. Dagegen sind für ihn die politischen und wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens weniger bedeutend. Den politischen Grundsatz: Zuerst das Land, dann die Partei, dann der Politiker dreht er egoistisch komplett um. Das ist nicht die feine englische Art.

Selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines parlamentarisch erfolgreichen Misstrauensvotums gegen Johnson in der nächsten Woche, hätte die von der britischen Königin genehmigte Parlamentsbeurlaubung weiterhin Bestand. Eine dann erst ab 14. Oktober zustande kommende Übergangsregierung müsste innerhalb von Tagen handeln, um in Kooperation mit der EU auf einem Sondergipfel einen Brexit ohne Abkommen noch bis zum 31. Oktober zu verhindern. Der Kursverfall bei britischen Aktien sowie der sprunghafte Anstieg der Wechselkursvolatilität Euro zu britischem Pfund signalisieren die steigende Wahrscheinlichkeit eines No Deal-Brexit.

Zurzeit nehmen die europäischen Aktienanleger diese Gefahr gelassen hin, haben sich vielleicht sogar damit abgefunden. Im Übrigen wird der Handelskrieg eindeutig höher gewichtet. Doch würde eine abkommenlose Brexit-Realität an Halloween durchaus zu Beeinträchtigungen an den Aktienmärkten. Das europäische Festland wird wirtschaftlich allerdings nicht annähernd so betroffen sein wie das Vereinigte Königreich. Und auf das von Trump in Aussicht gestellte „phantastische“ Handelsabkommen sollte niemand vertrauen.

In Italien ist die Regierungskrise durch Bildung einer neuen Koalition aus 5-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten (PD) zumindest vorläufig beendet. Große Reform- oder Stabilitätspolitik ist von ihr sicher nicht zu erwarten. Die Finanzmärkte sind jedoch schon dafür dankbar, dass vorerst Neuwahlen ausbleiben mit dann vermutlichen Zuwächsen für die Partei Lega unter Salvini. Um diese politische Entspannung möglichst lange aufrechtzuerhalten, wird die EU gerne großzügige Schuldenzugeständnisse machen. Diese werden schließlich von einer unter Christine Lagarde noch freizügigeren Geldpolitik der EZB schmerzfrei finanziert. Dass der Risikofaktor italienische Staats- und Schuldenkrise für die Finanzmärkte zunächst vom Tisch ist, signalisieren die Rekordtiefs der Renditen 10-jähriger italienischer Staatsanleihen und stabilisierte europäische Aktienmärkte.

Versöhnliche Signale sowohl aus den USA als auch aus China, sich zu Handelsgesprächen im September wieder gemeinsam an den Tisch zu setzen, haben der Aktienstimmung merklich gutgetan. Dass China zudem überlegt, auf Gegenmaßnahmen zur letzten Zollerhöhung Trumps vom vergangenen Freitag zu verzichtet und dass Trump eine Handelseinigung mit der EU sogar ohne Zölle auf europäische Autos für möglich hält, beruhigt zusätzlich.

Mit Blick auf die nur leicht erhöhte Aktienvolatilität ist die Sorge der Aktienanleger grundsätzlich begrenzt.

Aus Sentimentsicht wird jede Aktienstabilisierung zunächst noch mit viel Vorsicht genossen. Man kennt die kurzen Halbwertszeiten der handelspolitischen Entspannung. Um die an der Seitenlinie des Börsenspielplatzes wartende umfangreiche Liquidität zu mobilisieren, ist eine nachhaltige fundamentale Stimmungsaufhellung nötig. Wenn diese jedoch kommt, werden sich die Aktienmärkte dramatisch erholen.  

Charttechnik DAX - Auf Richtungssuche

Der DAX trifft bei fortgesetzter Erholung auf Widerstände bei 11.866 und 11.926 Punkten. Werden diese durchbrochen, nimmt der Index Kurs auf die Marken bei 12.115 und darüber 12.189. Setzt sich die Korrektur fort, trifft der Index an der 200-Tage-Linie bei aktuell 11.661 auf erste Unterstützung. Darunter folgen weitere Haltelinien bei 11.447, 11.300 sowie 11.019 Punkten.

Der Wochenausblick für die KW 36 - Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen

In China zeugen sowohl die offiziellen, als auch die von der Finanznachrichtenagentur Caixin veröffentlichten Einkaufsmanagerindices für Industrie und Dienstleistungsgewerbe von anhaltendem konjunkturellen Gegenwind.

In den USA deuten die Industrieaufträge für Juli und die Einkaufsmanagerindices für den Verarbeitenden und den Dienstleistungssektor sowie die Arbeitsmarktdaten auf eine zaghafte Wirtschaftsstabilisierung hin. Gemäß Konjunkturbericht (Beige Book) lässt sich die US-Notenbank noch nicht in die Zins-Karten schauen.

In der Eurozone können leicht verbesserte finale Einkaufsmanagerindices für Industrie und Dienstleistungen nicht über die grundlegende Konjunkturmisere hinwegtäuschen, so wie sie in Deutschland in weiter schwachen Zahlen zu Industrieproduktion und -aufträgen zum Ausdruck kommt.

Von auch bundespolitischem Interesse ist der Ausgang der ostdeutschen Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Wenn die Wahlergebnisse gemäß den Umfragen ausfallen, wird der Druck der Parteibasis der SPD, die Große Koalition in Berlin zu beenden, noch größer. Die bereits schwierige Zusammenarbeit wird zulasten der Reformprozesse noch zäher.