Neben Kriegs- und Konjunkturangst betrübt zurzeit die Zinsangst die Anleger-Seele. Da vor allem das Ausmaß der Zinswende unsicher ist, werden Aktien von Anlegern zeitweilig abgeworfen wie Sandsäcke von Ballonfahrern. Mehr Gewissheit von der amerikanischen Zinsfront ist dringend gefragt, damit wieder Ruhe in den Aktien-Karton kommt. Doch selbst wenn sich die Börsen zwischenzeitlich weiter austoben wie ein in Panik geratener Stier, wäre es ein großer Anlegerfehler, sich von Aktien final zu verabschieden.
Für viele Aktien-Schwarzseher befinden wir uns in einer Super-Blase, die früher oder später wie ihre Vorgänger platzen muss. Und so wird mit Verweis auf die Schicksale der Aktien-Blase 1929 (vor der Weltwirtschaftskrise), 2000 (Internet-Blase) und Immobilienblasen 1989 in Japan und 2006 in den USA bereits der Teufel kräftig an die Wand gemalt.
Und im Kampf gegen die Blasen macht so mancher aus dem Winterschlaf aufgewachte Börsen-Bär keine Gefangenen: Nach Abbau des Überdrucks im Aktien-Kessel werden sich die Kurse auf die Niveaus vor der Blasenbildung zurückbewegt haben. Für den US-Leitindex S&P 500 wäre dies ein Kursniveau von ca. 2.500 Punkten, von heute gerechnet also ein Minus von über 40 Prozent. Bei Technologieaktien würde der Druckabfall noch heftiger ausfallen.
Überhaupt wird nicht nur der Aktien-Blase zu Leibe gerückt. Auch die „irrationalen Übertreibungen“ bei Immobilien, Anleihen und Rohstoffen werden bereinigt.
Natürlich sieht auch die US-Notenbank die Bewertungsübertreibungen auf vielen Märkten, die sich von marktwirtschaftlichen Kriterien und bei Zinsanlagen von Bonitätsfragen so völlig losgelöst haben wie das Raumschiff von Major Tom im Songtext von Peter Schilling.
Man kann die Verwerfungen an den Anlagemärkten vielleicht mit einer hässlichen Fliege auf einer wertvollen Ming-Vase als Synonym für die Wirtschaft vergleichen. Der erste Gedanke mag sein, die Fliege kraftvoll zu zerschlagen, um den Blick auf das gute Stück nicht weiter zu beeinträchtigen. Doch wäre dann nicht nur die Fliege, sondern auch die Vase zerschlagen. Konkret, würden sich die Blasen wie prophezeit über massive Zinsrestriktionen entblähen, käme es allein in Amerika zu Vermögensverlusten von weit über 30 Billionen US-Dollar.
Die Fed hat nicht vergessen, dass ihre mehr als Verfünffachung der US-Leitzinsen zwischen 2004 und 2006 von einem auf 5,5 Prozent erst das Bersten der Immobilienblase 2008 ausgelöst hat. Das hat weder Amerikas Wirtschaft noch die Weltkonjunktur unbeeindruckt gelassen.
Und wie musste die Fed damals reagieren? Sie senkte den Leitzins noch unter das Niveau vor der Zinserhöhungsrunde 2004. Ihre Rolle als Konjunktur-Kümmerer spricht gegen eine dramatische Zinswende. Das müssen auch die Perma-Bären erkennen, die bereits seit 2009 vor dem ultimativen Zusammenbruch der (Finanz-)Welt warnen, der jedoch bis heute ausblieb.
Dennoch sind auch verhalten steigende Zinsen oder Anleiherenditen nicht gut für das Aktien-Geschäft. Sie rasieren die hohen Bewertungen insbesondere von High-Tech-Aktien, da deren Gewinne stärker abgezinst werden. Das wird vor allem jene in den letzten Jahren in Internet-Foren hochgejubelten Titel heimsuchen, deren Gewinnchancen auch unter dem Mikroskop nicht erkennbar sind. Das heißt aber nicht, dass High-Tech in toto tot ist. Doch werden wie bei Charles Darwin nur die überleben, die den „struggle for live“ mit nachhaltig erfolgreichen Geschäftsmodellen bestehen. Profaner ausgedrückt ähnlich im Märchen Aschenputtel: Die Guten ins „Depötchen“, die Schlechten ins Kröpfchen.
Unter das Messer kommen ebenso einige Corona-Gewinner. Wenn deren Sonderkonjunktur durch den zu erwartenden Übergang von der Pan- zu Endemie ausläuft, schmelzen deren Potenziale wie Schnee im Frühling dahin. Zu denken ist hierbei an Streamingdienste, Essenslieferanten und selbst Impfstoffhersteller, denen weitere Blockbuster fehlen.
An ihre Stelle treten im Rahmen der Branchenrotation Substanzaktien, die von einer sich immer mehr von Corona freischwimmenden Weltkonjunktur profitieren und nicht zuletzt in Deutschland beheimatet sind. Sich aufhellende Frühindikatoren wie zuletzt der ifo Geschäftsklimaindex sind hierbei ermutigende Signale. Hinzu kommen die Wiederauferstehung der Corona-Verlierer aus den Branchen Luftlinien, -häfen und Touristik.
Nach starken Kurseinbrüchen juckt es den Schnäppchenjägern in den Fingern, Aktien günstig einzusammeln. Leider haben Abwärtsbewegungen manchmal die fiese Eigenschaft, sich selbst zu verstärken. Dann sind mit Kredit arbeitende Anleger oder mit Optionen und Futures gehebelte Investoren wegen zunehmender Verluste und Kapitalverzehr gezwungen, Geld nachzuschießen oder ihre Depotpositionen zu verkleinern. Bei anhaltender Konsolidierung werden so selbst Aktien verkauft, die über jeden fundamentalen Zweifel erhaben sind. Im Extremfall findet ein gewaltiger Herdentrieb statt, bei dem Aktien aus blinder Verlustangst wie Ramsch weggeworfen werden. Auch sichere Anlagehäfen verlieren dann ihre Heiligenscheine.
Eine Bodenbildung über etwas Entspannung der Zinsangst seitens der Fed abzuwarten, ist also durchaus sinnvoll. So wird man zwar nicht den günstigsten Einstiegskurs treffen. Doch wer schafft das schon? Und das Rückfallrisiko ist ja auch geringer.
…höre ich in diesen schwierigen Börsen-Tagen im Familien- und Freundeskreis immer wieder. Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Tatsache ist aber auch, dass die „Aktien-Losen“ in den vielen letzten Jahren nichts verdient haben. Diese Wahrheit wird gerne unter den Teppich gekehrt.
Ohne Zweifel, es wäre der größte Fehler, wenn man aufgrund einer zwar normalen, wenn auch ungewohnten Konsolidierung Aktie jetzt links liegen lassen würde. Das sollten insbesondere die (jungen) Aktien-Beginner beherzigen, die sich angesichts der anhaltenden Zins-Diaspora endlich millionenfach für den Aktienmarkt erwärmen. Sie mögen die Kursverluste als Vertreibung aus dem Börsen-Paradies empfinden. Doch die wahre Hölle erlebten sie erst im Alter, wenn sie feststellen, dass ihr Wohlstand mit Zinsanlagen nicht zu halten ist. Und was nützt das Einfordern von Generationengerechtigkeit bei der gesetzlichen Rente, wenn diese im Alter finanzmathematisch und demographisch nur noch Armenspeisung sein kann.
Je jünger man ist, desto mehr muss man selbst Altersvorsorge betreiben. Das spricht nicht, es schreit nach regelmäßigen Sparplänen in Aktien. Das kann Indexsparen sein. Aber es funktioniert ebenso bei Aktien mit nachhaltigem Fundamentalismus, die bei Konsolidierungen nachgekauft werden. Und selbst wenn es demnächst nicht mehr nur zweistellige Jahresrenditen geben wird, werden die Aktienrenditen jene aus dem Zinsbereich allemal schlagen. Das gilt nicht zuletzt für dividendenstarke Werte, die eine hervorragende Ersatzbefriedung für entgangene Zins-Freuden sind.
Auch 2022 gibt es keinen Grund, die Aktien-Flinte ins Zins-Korn zu werfen.