Bei Familienfeiern gibt es oft den skurrilen Onkel Otto, der den Frieden mit polterndem Auftreten und Launenhaftigkeit trübt. Dieser Onkel heißt an den Finanzmärkten Donald. Schon seine sinnbefreite Zollpolitik und Angriffe auf die Fed als Kronjuwel der US-Finanzwirtschaft wirken verstörend auf die Anlegerstimmung. Vor allem stört jedoch seine unberechenbare Politik, deren Logik sich nicht ergründen lässt und insofern wenig Planungssicherheit für Wirtschaft und Börsen bietet.
Unfälle wie Naturkatastrophen oder Pandemien sind höhere Gewalt. Dafür kann niemand etwas. Für Eigenverschuldung jedoch gibt es keine Entschuldigung. Trumps husarenartige Zollpolitik kann man nicht mehr nur Fahrlässigkeit nennen. Kritische Wirtschaftsfachleute, die ihm seine falsche Sichtweise erläutern können, gibt es in Amerika wie Sand am Meer. Doch schart Trump lieber Ja-Sager um sich, die wie Wackeldackel alles abnicken.
Tatsächlich begünstigt Trumps Handelspolitik in der aktuellen Fassung das schlimmste Schreckgespenst einer Volkswirtschaft: Stagflation. Die Zölle sind ein Angebotsschock vergleichbar mit dem Ölpreisanstieg der 70er-Jahre. Mit steigenden Preisen sinken Kaufkraft und Konsum und fallen Investitionen, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Der Weltwährungsfonds hat das amerikanische Wirtschaftswachstum 2025 bereits von 2,5 auf 1,8 Prozent getrimmt, für Amerika ein erbärmlicher Zuwachs. Mit sinkenden Konjunkturaussichten fallen dann aber nicht die Preise, da u.a. brüchige Lieferketten zu Mangelwirtschaft führen. Denn China erwidert die „freundliche“ Behandlung Trumps. Das Land ist mittlerweile zu bedeutend und lässt sich nicht mehr herumschubsen.
Als Gegenmaßnahme fordert der US-Präsident niedrigere Leitzinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln und den Einbußen an Wall Street entgegenzuwirken. Tatsächlich schiebt er die eigenverschuldete Konjunkturschwäche dem Fed-Chef in die Schuhe, der aktuell zinssenkungsrenitent ist. Um Druck auf Jerome Powell auszuüben, hat Trump sogar prüfen lassen, den geldpolitischen Lotsen von Bord gehen zu lassen. Doch sind der Fed die Hände gebunden. Zwar müsste sie die Zinsen wegen Konjunkturschwäche senken, nimmt wegen steigender Inflationserwartungen jedoch davon Abstand.
Allein schon die Überlegung, die Unabhängigkeit der US-Notenbank einzuschränken, rüttelt an der finanzwirtschaftlichen Stabilität Amerikas und der Akzeptanz des US-Dollars als Weltleitwährung. Ebenso sollte man nicht so ziemlich der ganzen Welt in den Hintern treten, wenn man auf ihr Geld angewiesen ist. Immerhin wurde bislang weltweit jeder zweite Dollar in Amerika angelegt, in Anleihen, Aktien und Realinvestitionen. Mit diesen fantastischen Vorteilen spielt man nicht.
Tatsächlich überdenken die weltweit großen Anleger bereits, ob amerikanische Finanzanlagen und der US-Dollar noch Herz und Hirn der globalen Finanzmärkte sein können. Amerika sollte tief besorgt sein, dass US-Staatsanleihen dabei sind, ihren einzigartigen Status als sicherer Anlagehafen der Welt zu verlieren. Denn höhere Risikoaufschläge tun angesichts der dramatischen Staatsverschuldung richtig weh. Übrigens ist auch der Otto-Normal-Amerikaner in puncto Kreditaufnahme kein Kind von Traurigkeit.
Das alles allein ist für die Reputation Amerikas schon schlimm genug. Besonders schlimm ist jedoch das Trumpsche Überraschungsmoment als größtes Unsicherheitsmoment für die US-Wirtschaft und Wall Street. Sein gesprochenes Wort von heute ist morgen vergessen und übermorgen Fake News. Seinen angeblichen Masterplan versteht kein Mensch mehr. Kein Wunder, dass Verschwörungstheorien ins Kraut schießen.
Nach Schelte von den Finanzmärkten ist Trump wohl nervös geworden und eingeknickt. In puncto Powell rudert er zurück. „Niemand hat die Absicht“, den Fed-Chef zu entlassen, hätte Walter Ulbricht wohl gesagt. Gleiches gilt für die US-Zölle gegen China. Aktuell will die US-Administration die gegen China verhängten US-Zölle von 145 doch wieder senken und in Verhandlungen eintreten. Er hat sich wohl erläutern lassen, dass China für die US-Wirtschaft wohl doch wichtiger ist als er gedacht hat, auch wegen der seltenen Erden.
Aber wie lange währt dieser plötzliche Realitätsanfall? Was ist, wenn Powell sich aufgrund zollbedingt zunehmendem Inflationsdruck vorerst nicht zu Zinssenkungen durchringt? Wird Trump auch dann noch Kreide fressen? Wer es glaubt, wird selig.
Und die China-Zölle? Erstens sorgen auch niedrigere Tarife für eine weitgehende Aufhebung des bilateralen Handels und der Schnäppchenpreise für US-Konsumenten. Zweitens, was ist, wenn China sich irgendwo und irgendwie Amerika-schädlich verhält oder an seinen Zöllen gegen die USA festhält? Wird dann die Zollkeule Trumps wieder so heftig geschwungen wie Thors Hammer?
Auf dieser Halbwertszeit-kurzen, Wackelpudding-ähnlichen Grundlage lassen sich keine vernünftigen Investitionsplanungen von Unternehmen treffen. So führt man keine weltweite Führungsmacht, noch nicht einmal einen Operettenstaat oder einen Golfclub. Trump denkt seine Entscheidungen nicht zu Ende. Hättest du geschwiegen, wärst du ein Philosoph geblieben. Erst denken, dann reden!
Auch die Börsen bevorzugen ein stabiles Leitplankensystem mit kalkulierbaren Rahmendaten. Im Moment sind Ausblicke der Unternehmen schwierig. Es drohen eher vorbeugende Gewinnwarnungen. Natürlich freuen sich die Anleger über Erholungstrends an Wall Street, wenn bei Trump zwischenzeitlich Altersmilde durchblickt. Doch auch hier gilt: Was interessiert mich (Trump) mein Geschwätz von gestern. Für Glaubwürdigkeit sorgt das nicht.
Selbst wenn der US-Präsident jetzt sagen würde April-April, die Zölle werden auf das Niveau vor meiner Amtsübernahme zurückgeführt, würden Anleger ihm das noch glauben? Der Schaden für die Glaubwürdigkeit Amerikas ist angerichtet und die Wiederherstellung schwierig.
An nachhaltige Altersmilde sollte man nur bedingt denken.
Werden der Markt oder die Umfragewerte ihre disziplinierende Kraft auf Trump weiter ausüben? Offensichtlich zeigt er sich zumindest zwischenzeitlich beeindruckt.
Wird der Druck der Unternehmenschefs immer größer? Elon Musk geht bereits auf Distanz zu Trump.
Finden die internationalen Handelspartner eine Lösung im Handelsstreit? Die EU hält dafür die Tür offen.
Gibt es nach möglicherweise verlorenen Zwischenwahlen der Regierungspartei eine Art Palastrevolution im Weißen Haus? Ein 2028 möglicher Präsidentschaftskandidat J.D. Vance hat kein Interesse an einer Niederlage.
Vorerst ist weiter mit hoher Volatilität zu rechnen. Möge der US-Präsident jede Nacht gut schlafen, jedes Golf-Turnier gewinnen, so dass er seine schlechte Laune nicht an der Wirtschafts- und Finanzwelt auslässt.
Ich will mein altes verlässliches Amerika zurück, so schnell wie möglich.