27. Juni 2024

Robert Halver

Robert Halver,
Leiter Kapitalmarktanalyse,
Baader Bank

Quo vadis, Kapitalmärkte im 2. Halbjahr 2024?

Geldpolitik bleibt der neuralgische Punkt der Märkte. Vorerst sind nur schleichende Inflationsrückgänge der Nährboden für trotzige Notenbankrhetorik. Dennoch kommt es von Fed und EZB zu Zinssenkungen, um die Konjunktur zu düngen und Strukturrisiken wie Überschuldung entgegenzuwirken. Weltwirtschaftlich ist mit einer zunächst noch anfälligen Stabilisierung zu rechnen. Über die Sommermonate sind zunächst seitwärts gerichtete Schaukelbörsen zu erwarten, bevor es anschließend weiter nach oben geht.

US-Notenbank: Die Braut, die sich bald traut

Vor allem wegen anhaltendem Lohndruck, der von Dienstleistern weitergegeben wird, bleibt die Inflationsentspannung dies- und jenseits des Atlantiks ein Marathon. Die offiziellen Inflationsziele kommen erst 2025 in Sichtweite und ob sie dann tatsächlich erreicht werden, ist nicht sicher.  

Bevor sie mit Zinssenkungen beginnt, will die „datenabhängige“ Fed daher zunächst weitere Desinflationsbeweise abwarten. Der Sand im Konjunkturgetriebe hat jedoch eine immer größere geldpolitische Bedeutung, zumal er inflationsbremsend wirkt. Ab Herbst werden US-Zinssenkungen Realität.

Auch die EZB lässt die Tür für weitere Zinssenkungen ab Herbst 2024 offen. Die Strukturdefizite in der Eurozone lassen ihr nur eingeschränkten Spielraum für klassische Stabilitätspolitik. Grundsätzlich hat sie hinter vorgehaltener Hand längst eine Neuinterpretation des Stabilitätsbegriffs vorgenommen: Konjunktur-, soziale und System- gehen vor Inflationsstabilität.

Da die Zinsen im Trend fallen werden, gehören langlaufende Staats- und Unternehmensanleihen ins Depot. Hierbei geht es vor allem um Kursgewinne, denn je länger die Laufzeit, desto größer der Kurshebel.

Bei Zinspapieren als Inflationssicherung muss man dagegen vorsichtig sein. Unterstellt man eine höhere tatsächliche Preissteigerungsrate, bleibt real nichts mehr übrig. Ohnehin verlieren die in Deutschland so beliebten Termingelder durch die Zinswende der EZB an Attraktivität.

Währungen: Euro zunächst im Seitwärtstrend

Stand heute werden Fed und EZB bis Ende 2024 ihre Zinsen gleichermaßen senken. Das spricht für eine grundsätzliche Seitwärtsbewegung des Euros gegenüber US-Dollar. Größere Währungsverwerfungen sind vorerst nicht zu erwarten. Selbst wenn populistische Parteien die Mehrheit bei der französischen Parlamentswahl erringen, wird es kein langes Abtauchen des Euros geben. Es kommt der „Meloni-Effekt“ zum Tragen. Ähnlich wie in Rom nach der Wahl von Frau Meloni zur Ministerpräsidentin wird man ebenso in Paris europäisch denken, solange man weiterhin ordentlich neue Schulden machen darf. Zur Sicherung des europäischen Friedens wird die EU dazu gerne bereit sein.

Längerfristig jedoch, wenn die Schuldenmania in Europa noch mehr streut und im Gegensatz zur internationalen Konkurrenz europäische Wirtschaftsreformen weiter stocken oder gar ausbleiben, ist die Parität des Euros zum US-Dollar nur ein Zwischenziel. Besonders negativ würde sich die breite Einführung von Euro-Bonds und damit die Vergemeinschaftung von Schulden auswirken, wenn sie keinen klaren marktwirtschaftlichen Hintergrund haben. Uns verkauft werden sie zwar als weiteres Instrument der europäischen Integration. Doch werden die einzelnen Regierungen dieses edle Motiv gerne nutzen, um ihre individuelle Schuldensucht zu verstecken.   

Weltkonjunktur: Mehr Licht als Schatten

In der US-Wirtschaft streuen hohe Kreditkosten, steigende Kreditausfallraten und die schleichend zunehmende Arbeitslosigkeit Sand in das Konjunktur-Getriebe. Wegen massiver Ausgabenprogramme und absehbarer Zinserleichterungen ist das soft landing dennoch wahrscheinlich.

In China werden gezielte fiskal- und geldpolitische Impulse ihre Wirkung nicht verfehlen. Die Stabilisierung des angeschlagenen Immobiliensektors braucht allerdings Zeit.

Die Konjunkturerholung der Eurozone verläuft holprig. Die Kaufkraft erholt sich schleppend. Immerhin sorgen weitere Zinserleichterungen der EZB für weniger Bremseffekte. Ohne eine Erholung in der Industrie ist ein nennenswertes Wachstum aber nicht zu erreichen.

Allerdings kommt eine sich langsam belebende Nachfrage der Weltwirtschaft bei export- und industriesensitiven deutschen Unternehmen noch nicht an.

Denn u.a. schwebt über den deutschen Export-Pfründen als Damoklesschwert der Handelskonflikt mit China. Peking deutet zwar an, Einfuhrzölle für großmotorige Autos aus der EU von aktuell 15 Prozent zu senken, falls die EU auf geplante Zollerhöhungen für E-Fahrzeuge verzichtet. Enden die Verhandlungen zwischen Peking und der EU-Kommission bis 4. Juli dennoch ergebnislos, werden chinesische Vergeltungszölle vor allem die deutsche Autoindustrie treffen.

Durch Produktionsverlagerungen können deutsche Unternehmen zwar Schadensbegrenzung betreiben, doch leidet dann der deutsche Wirtschaftsstandort und seine Beschäftigung. Ohnehin sind viele Unternehmen hierzulande verunsichert, da die deutsche Wettbewerbsfähigkeit seit Jahren fällt. Der sprunghafte Anstieg der Insolvenzen auf den höchsten Stand seit fast 10 Jahren und die zuletzt wieder schwächeren ifo Geschäftserwartungen sollten Berlin Anlass zur Sorge geben.

Rohstoffe: Gold ist nicht beliebig vermehrbar

Die geringe Rücknahme der Förderkürzungen von OPEC+ ab Oktober ist nicht ausreichend, um die höhere globale Öl-Nachfrage zu bedienen, was den Ölpreis stützt. Der mögliche Rückgriff auf Fracking in den USA und keine weitere Eskalation im Nahen Osten sprechen aber gegen jeden Ölpreisschock.

Aufgrund der weltwirtschaftlichen Besserung ist nach abgeschlossener Korrektur eine Preisstabilisierung bei Industriemetallen zu erwarten.

Trotz der aktuelle Seitwärtskonsolidierung hat der Goldpreis Perspektive. Gold bleibt der sachkapitalistische Klassiker in global schwierigen Zeiten. Gemeinsam mit der Zinsentspannung in Amerika und insofern Dollar-Beruhigung ist die Bühne für einen Goldpreis über 2.500 Dollar je Unze zum Jahresende bereitet. Stützend wirkt gleichzeitig, dass die Notenbanken weiter Goldbestände anhäufen. Laut einer Umfrage des World Gold Council beabsichtigen 29% der befragten Notenbanken eine Aufstockung ihrer Goldreserven in den kommenden 12 Monaten. 

US-Aktienmarkt: Mehr Marktbreite wagen

Die US-Aktienhausse basiert bislang vor allem auf den bekannten High-Tech-Riesen. Tatsächlich versprechen die Geschäftsmodelle der Digitalwirtschaft und der Künstlichen Intelligenz nachhaltig stabile Renditen. Dennoch lädt die stark verteuerte Bewertung von Big Tech zu auch deutlicheren Gewinnmitnahmen ein, die allerdings nur von kurzer Dauer sind.

Noch werden typische amerikanische Substanzwerte stiefmütterlich behandelt. Die Underperformance der gleichgewichteten Variante des S&P 500 - bereinigt um die marktkapitalisiert starke Übergewichtung der Tech-Champions - zum klassischen Index fällt so extrem aus wie zuletzt während der Globalen Finanzkrise 2008.

Substanzwerte aus den Sektoren Industrie, Grundstoffe, Energie und Finanzen, aber insbesondere Nebenwerte aus dem Russell 2000 profitieren von der Reindustrialisierung Amerikas. Das lässt die dramatische Underperformance der Nebenwerte auslaufen und den US-Aktienmarkt an Breite gewinnen.

Ein potenzieller Sieg von Trump bei den Präsidentschaftswahlen im November würde an den US-Aktienmärkten weniger heiß gegessen als er medial gekocht wird. Trump würde mit einer Verlängerung der zum Ende 2025 auslaufenden Steuersenkungen die attraktiven US-Standortqualitäten beibehalten, wenn nicht sogar noch weiter verbessern. Auch das käme den amerikanischen Nebenwerten zugute.

Europas Aktienmärkte: Es leben die Zykliker

In Europa wird ein Wahlsieg Trumps als Risiko, vor allem für den Außenhandel betrachtet. Jedoch sind europäische Unternehmen nicht an europäische Standorte gebunden, so dass sie mit weiteren transatlantischen Produktionsverlagerungen auf amerikanische Zollerhebungen reagieren können. Was für europäische Standorte schlecht ist, ist für ihre Gewinnsituation sogar gut.

Ohnehin werden europäische Aktien gegenüber dem Welt-Aktienmarkt gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis nahe ihrer historischen Bewertungsabschläge gehandelt, was ihnen Nachholpotenzial verleiht. Im Übrigen wird sich bei einem populistischen Wahlausgang in Frankreich trotzdem der „Meloni-Effekt“ auch bei französischen Aktien zeigen. Nach ihren Kursverlusten in Folge der Europawahl haben sie Nachholpotenzial.

Grafik der Woche

Nicht zuletzt kommt insbesondere (konjunkturabhängigen) europäischen Aktien aus der zweiten und dritten Reihe die weitere Zinsentspannung der EZB zugute. Sie sind finanzierungsabhängiger und daher zinselastischer als die großkapitalisierten Dick-Schiffe aus der ersten Reihe.

Japanische Aktien:  Bank of Japan (BoJ) wird nicht zum Spielverderber

Mit der angekündigten Drosselung ihrer Anleihekäufe, die in Absprache mit den großen japanischen Anleiheinvestoren stattfindet, will die BoJ keinen Rendite-Schock verursachen. Sie wird mit äußerster Vorsicht handeln und bei Verwerfungen die Drosselung verringern oder vorübergehend ganz aussetzen.

Ein wieder festerer Yen nimmt japanischen Exportunternehmen einerseits zwar währungsseitigen Rückenwind. Andererseits belastet die Yen-Schwäche jedoch die Margen bei zwei Dritteln der Unternehmen, die die Importkostensteigerungen nicht an ihre Kunden weitergeben können. Insgesamt würde eine Yen-Stabilisierung also nicht kontraproduktiv auf japanische Aktien wirken, zumal Auslandsinvestoren weniger Sorge vor Währungsverlusten haben müssten.

Schwellenländer: "Rosa Flut" erfasst Lateinamerika

Der Linksruck der lateinamerikanischen Politik trifft auch den bisherigen Anlegerliebling Mexiko. Bedenken, dass über Steuererhöhungen finanzierte Sozialprogramme die Welle ausländischer Investitionen abwürgen, sorgen für Kursverluste an der mexikanischen Börse. Auch Brasiliens Präsident Lula fällt in alte sozialistische Verhaltensmuster zurück. Die Ausweitung schuldenfinanzierter Sozial- zulasten von Investitionsprogrammen schüren Anlegerzweifel an den Wachstumsperspektiven sowie der Unabhängigkeit der brasilianischen Notenbanken, die zunehmend unter politischen Zinssenkungsdruck gerät. Rohstoffreichtum allein ist kein Freifahrtschein für die Börse.

Im Gegensatz dazu laufen die asiatischen den lateinamerikanischen Aktienmärkten den Rang ab. Große und konsumstarke Binnenmärkte in Indien und Indonesien sowie eine stetig wachsende Bedeutung asiatischer Unternehmen in Zukunftsbranchen wie Internet, E-Mobilität und Digitalisierung machen diese marktwirtschaftlich denkenden Länder attraktiv.

Krypto: Interessante Spekulationsobjekte

Die zuletzt beruhigte Krypto-Euphorie erhält durch die Zulassung von Ether-ETFs neuen Schwung, die bereits in den kommenden Wochen handelbar sein könnten. Als Blaupause dient dabei die erfolgreiche Auflegung von Bitcoin-ETFs, die als Ritterschlag für die Ur-Kryptowährung massive Mittelzuflüsse institutioneller Investoren nach sich zog.

Mit einem Ether-ETF werden übrigens auch für andere Fonds die Türen geöffnet, deren „Coins“ auf derselben Technologie wie die Ethereum-Blockchain (Proof-of-Stake) fußen. Der Rückenwind für Kryptos wird mit zunehmender regulatorischer Klarheit also anhalten. Nicht zuletzt könnte ein Wahlsieg Trumps Kryptos Rückenwind verleihen, der sich mittlerweile als Befürworter von digitalen Vermögenswerten präsentiert und bei seiner Wahl beabsichtigt, Einfluss auf die eher kritische US-Börsenaufsichtsbehörde SEC zu nehmen. Insgesamt bleiben Investments aber spekulativer und volatiler als Aktien und Gold.

Sentiment und Charttechnik DAX: Zunächst im volatilen Seitwärtstrend

In den USA mahnt der laut Umfrage der American Association of Individual Investors hohe Anteil an Optimisten gegenüber Pessimisten unter den Privatanlegern als Kontraindikator zur Vorsicht und spricht für zwischenzeitliche Konsolidierungen im Sommer.

Der aus sieben Marktindikatoren zusammengesetzte Fear & Greed Index von CNN Money befindet sich jedoch bereits im Bereich der Angst und signalisiert so, dass potenzielle Korrekturen nur von kurzer Dauer sind. Insofern sollten Anleger im Aktienmarkt zumindest in Form regelmäßiger Sparpläne investiert sein. So können sie sich bei schwächeren Kaufkursen damit trösten, dass es mehr Aktienanteile für das gleiche Geld und bei wieder steigenden Kursen einen spürbaren Hebel nach oben gibt.

Mit zunehmender Offenbarung der Zinssenkungen, einer hartnäckigen Inflation, die Sachkapital stützt, der weltwirtschaftlichen Erholung und Beruhigung der politischen Großwetterlage wird sich die Aktienstimmung ab Herbst nachhaltig aufhellen.

Charttechnisch liegen bei einer Korrektur erste Unterstützungen bei 18.090, 17.950 und 17.737 Punkten. Darunter befinden sich weitere Haltelinien bei 17.695, 17.674 und 17.625. Setzt der Index seine Aufwärtsbewegung fort, trifft er bei 18.180, 18.205 und 18.255 auf Widerstände. Darüber liegen weitere Barrieren bei 18.258, 18.286, 18.305, 18.365 und 18.385 Punkten.

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Halvers Kolumne

Europa muss zwischen guten und schlechten Schulden unterscheiden

Macht die EU-Kommission Ernst und setzt die europäischen Stabilitätskriterien durch? Tatsächlich eröffnet sie Defizitverfahren gegen sieben Länder, darunter Frankreich. Aber wie ernst kann ihr Ernst wirklich sein? Unabhängig davon muss Europa endlich die Schuldenfrage neu diskutieren.

Es waren einmal die europäischen Stabilitätskriterien

Um der Gemeinschaftswährung beizutreten und um nach Clubeintritt keine Sanktionen zu riskieren, darf das jährliche Haushaltsdefizit maximal drei Prozent und der Schuldenstand maximal 60 Prozent jeweils bezogen auf die Wirtschaftsleistung (BIP) betragen. Die Eintrittshürde war zu Beginn der Währungsunion durch kreative Buchführung relativ einfach zu schaffen. Und wer einmal drin war, konnte nicht mehr raus. Damit hat Europa auf die wirksamste Sanktion von vornherein verzichtet.

Deutlich schwieriger ist es, auch die laufenden Staatshaushalte stabilitätsgerecht aufzustellen. Frankreich hatte aber vorgebeugt und darauf gepocht, dass auch jene Länder beitreten, die Stabilität nicht unbedingt erfunden haben. So konnten die stabilitätsaffinen Euro-Nordländer gegenüber Euro-Süd nicht die Oberhand gewinnen.  

Tatsächlich wurden die Kriterien flexibilisiert. Zugegeben, anfänglich waren sie zu starr, da Pandemien oder ein Krieg in Europa mit Konjunktur- und Energiekrisen niemand auf dem Radarschirm hatte. Doch trug auch dieser Pragmatismus zur „Haushaltsentdisziplinierung“ bei. Außerordentliche Gründe finden sich immer.

1000 mal verwarnt, 1000 mal ist nichts passiert

Und dennoch gab es bislang knapp 40 Defizitverfahren gegen Euro-Länder. Brüssel kann ja nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Immerhin gehören die Stabilitätskriterien zu den 10 Geboten Europas. Sie blieben aber immer ziemlich folgenlos. Auch Deutschland als früherer Gralshüter der Stabilitätstugend hat für seine Haushaltssünden Anfang des Jahrtausends keine Buße tun müssen.

Jetzt wurden wieder Verfahren gegen sieben Mitgliedsländer eingeleitet. Eigentlich müssten es sogar 12 sein. Aber bei fünfen hat man fünf gerade sein lassen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Enfant terrible ist mal wieder Frankreich. La Grande Nation ist groß vor allem beim Schuldenstand von 112 Prozent gemessen zum BIP und einem Budgetdefizit von 5,5 Prozent.

Ist Besserung in Sicht? Knallharte Wirtschaftsreformen und Sparmaßnahmen wären mehr als überfällig, sind aber in einem Land, dessen Bürger das Revoluzzer-Gen schon mit der Muttermilch aufnehmen, nur schwer umzusetzen. Vor der vorgezogenen Parlamentswahl propagieren populistische Parteien jetzt die Stabilitätstugend, nachdem sie im Europawahlkampf noch weitere Sozialleistungen versprochen hatten, die Frankreich jährlich 100 Mrd. Euro kosten würden. Da macht jemand auf seriös. Dabei hätte schon die Reform des Rentensystems fast die zweite Französische Revolution ausgelöst.   

Die Defizitverfahren gegen Frankreich und andere Länder sollen Warnschüsse an Politiker sein, endlich dem Schulden-Schlendrian abzuschwören. Doch kann man französische Politiker nicht zum Sparen zwingen. Sie fürchten die Rache der Wähler bei der Präsidentenwahl 2027. Zudem ist das Land systemrelevant für die Handlungsfähigkeit von Eurozone und EU. Wird sich also die EU mit Frankreich anlegen? Verwenden Pariser Feinschmeckerköche Margarine statt Butter? Ohnehin ist ein Defizitverfahren ein Abnutzungsprozess. Ähnlich wie bei der stillen Post werden harte Sanktionen immer mehr zu harmlosen Mahnungen.

Am Ende wird Frankreich weiter für seinen Sozialstaat straffrei Schulden machen. Ähnlich ist Brüssel mit Bella Italia umgegangen, auch systemrelevant. Als Gründe wird immer gerne auf die besonderen strukturellen Probleme Italiens verwiesen. Könnten diese diverse italienische Regierungen verursacht haben?  

Leider sendet der mit Schleifung der Stabilitätskriterien erkaufte europäische Frieden fatale Signale aus. Wenn die anderen Stabilitätskriterien schleifen, dürfen wir das doch auch. So wird der Druck, sich mit auch schmerzhaften Maßnahmen für die wirtschaftliche Zukunft fit zu machen, immer kleiner.

Wer hätte es gedacht? Griechenland ist der Reformmotor Europas

Griechenland hat man damals nicht geschont, im Gegenteil. Dem Land fehlte das politische und wirtschaftliche Gewicht, um Brüssel drohen zu können. Gemäß dem „Vogel friss oder stirb“-Prinzip gehen die Griechen also den harten Reform-Weg. U.a. wollen sie wieder die Sechstagewoche einführen und hauchen dem Leistungsprinzip wieder Leben ein. „She works hard for the money“ von Donna Summer scheint das neue Motto der Athener Wirtschaftspolitik zu.

Bei uns dagegen wird immer weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich gefordert. Das fehlende Geld soll auch mit neuen Schulden finanziert werden. Und wer soll es bezahlen? Wenn die EZB zum willenlosen Staatsfinanzierer wird, schlägt die Inflation und damit die Verarmung erbarmungslos zu.

Gute Schulden, schlechte Schulden

Grundsätzlich muss die europäische Schuldenpraxis überdacht werden. Denn ohne Schulden geht es nicht. Wie sonst wollen wir bitte bei der globalen Neujustierung von Macht und Wohlstand eine Rolle spielen? Auch Amerika, China und Indien verbessern ihre Standortbedingungen und Innovationskraft auf Pump.

An dieser Stelle ist es aber wichtig, die Unterscheidung zwischen gut und schlecht zu treffen. Verschuldung, mit der wie bisher nur Verständnis- und Gefälligkeitsökonomie betrieben wird, muss hart geahndet werden. Gute Schulden sollten gewährt werden, wenn ein Land wie Griechenland sich konsequent bemüht, seine Wettbewerbsfähigkeit zum Wohle von Wachstum, Arbeitsplätzen und Perspektiven zu stärken. Nachhilfe für Schüler ist auch nicht umsonst, bringt aber längerfristigen Erfolg. Schlecht sind auch Schulden, die als Subventionen nur der ideologischen, ja planwirtschaftlichen Wirtschaftslenkung und politischen Beglückung zugutekommen. Diese unproduktiven Schulden sind übrigens unsozial, da sie von denjenigen als Steuern getilgt werden müssen, die sie nicht verursacht haben. In diesem Zusammenhang müssen auch bestehende Staatsausgaben vom Gärtner behandelt werden. Diverse Wucherungen sind zu beseitigen.   

Ob europäische Politiker dazu bereit sind? Aber haben sie eine andere Wahl, wenn sie an die Zukunft Europas denken?

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Redaktion:
Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse, Baader Bank AG

Marc Schlömer, Kapitalmarktanalyse, Baader Bank AG


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